Die tibetischen Bestattungsriten: Ein Einblick in die Sicht auf den Tod
Der Tod ist für alle unvermeidlich, und doch wird er in unterschiedlichen Kulturen verschieden betrachtet. Während der Tod für viele Menschen als etwas Schreckliches empfunden wird, sehen wir Tibeter ihn als natürlichen Übergang in einen neuen Lebenszyklus. Die tibetischen Bestattungsriten sind tief in der einzigartigen Kultur und den natürlichen Bedingungen des Hochlandes verwurzelt, beeinflusst durch den tibetischen Buddhismus und die Bon-Religion.
In Tibet gibt es zahlreiche Beisetzungsarten: Erd-, Feuer-, Stupa-, Himmels-, Wasser-, Baum-, Höhlen- und sogar Steinsargbestattungen, jede Form mit spezifischer Bedeutung und Ritualen. Diese Traditionen basieren auf der Zeit, Region und spirituellen Bedeutung für die Verstorbenen und deren Angehörige.
Himmelsbestattung: Eine einzigartige tibetische Tradition
Die Himmelsbestattung ist eine der bekanntesten tibetischen Beisetzungsformen und gilt als tief spirituell. Dabei wird der Körper des Verstorbenen Geiern überlassen – ein Symbol für das Loslassen der materiellen Welt. Die Ursprünge dieser Bestattung sind umstritten; einige glauben, sie sei in Tibet entstanden, während andere auf Einflüsse aus Indien und Zentralasien verweisen. Im 11. Jahrhundert begann sich die Himmelsbestattung in ihrer heutigen Form unter buddhistischem Einfluss auszubreiten.
Der Ablauf der Himmelsbestattung
Der Sterbende erhält, bevor er den letzten Atemzug tut, eine Pille aus tibetischen Kräutern, die ihm helfen soll, Frieden zu finden und seine Triebe zu löschen. Danach folgt eine Gebetszeremonie, bei der Lamas Mantras rezitieren, um die Angst des Sterbenden zu lindern. Stirbt die Person, wird ihr Gesicht mit einem weißen Tuch bedeckt, und die Leiche verbleibt 2-3 Tage im Haus, bevor sie zur Bestattung getragen wird.
Ein Wahrsager bestimmt den Zeitpunkt der Zeremonie, die meist früh am Morgen beginnt. Der Verstorbene wird auf den Berggipfel getragen, wo der Bestattungsmeister den Körper vorbereitet. Die Geier, die als „heilige Adler“ gelten, werden durch Weihrauch angelockt und nehmen den Körper des Verstorbenen als letzte Gabe an. Dieser Akt der Hingabe und Demut symbolisiert den Übergang der Seele ins nächste Leben.
Bedeutungen und Missverständnisse
Für viele Tibeter ist die Himmelsbestattung eine rituelle Reinigung und ein Mittel, der Natur etwas zurückzugeben. Anders als in anderen Kulturen, die den Körper als unantastbar betrachten, wird hier der physische Körper als vergänglich gesehen, während die Seele auf ihren nächsten Lebensweg vorbereitet wird. Einige Menschen von außerhalb sehen die Zeremonie als grausam an, doch für Tibeter ist es eine Möglichkeit, die Seele zu befreien und die Vergänglichkeit des Lebens zu ehren.
Weitere tibetische Bestattungsformen und ihre Bedeutungen
Neben der Himmelsbestattung gibt es viele weitere Riten, die in Tibet Anwendung finden:
- Erd- und Wasserbestattung: Traditionell für Kinder und Menschen, die an Verletzungen verstarben. Diese Methoden werden als geeignet für reine Seelen betrachtet.
- Feuerbestattung: Eine Methode für Mönche und spirituelle Meister, deren Seele durch den aufsteigenden Rauch in höhere Sphären geleitet wird.
- Stupabestattung: Diese Form ist für den Dalai Lama, den Panchen Lama und andere hochrangige spirituelle Führer reserviert und gilt als höchste Ehre.
Die tiefe Philosophie hinter tibetischen Bestattungen
Im tibetischen Glauben ist der Körper nur eine Hülle. Nach dem Tod kehrt der physische Körper zur Erde zurück, während die Seele zur nächsten Inkarnation strebt. Diese Riten sollen nicht nur die Verstorbenen ehren, sondern auch den Angehörigen Trost bieten und den Wert des Lebens verdeutlichen. Das tibetische Verständnis vom Tod erinnert daran, dass materieller Besitz und weltlicher Ruhm vergänglich sind. Stattdessen bleibt die Seele bestehen, die in ihrer Reise durch viele Leben eine spirituelle Transformation erfährt.
Diese Sichtweise vermittelt eine starke Botschaft der Demut und Akzeptanz und erinnert uns daran, dass der Tod nicht das Ende, sondern ein Übergang in eine neue Existenz ist.