Auf dem Weg sehen wir viele Gebetsfahnen. Die Gebetsfahnen, bei uns auch Windpferde heißen, sind aus 5 Farben: blau, weiß, grün, rot und gelb.

Warum hängt man Gebetsfahnen vor allem an hohen Pässen, Berggipfeln, Flüssen, Brücken und Seen?
Der Hauptgrund ist tatsächlich der Wind – aber die tibetische Erklärung geht tiefer:
- Jedes Mal, wenn der Wind die Fahnen bewegt, werden die darauf gedruckten Mantras (meist Om Mani Padme Hum, aber auch andere) „gelesen“ und in alle zehn Himmelsrichtungen verbreitet.
- Der Wind trägt die Segenswünsche und die positiven Energien in die Welt hinaus, reinigt die Umgebung und die Wesen darin von negativen Kräften und verbreitet Frieden, Mitgefühl und Glück.
- Besonders an hohen Pässen (tibetisch La, daher „Lungta“-Fahnen = Windpferd-Fahnen) glaubt man, dass dort mächtige lokale Geistwesen (Sadag, Lu usw.) wohnen. Indem man die Fahnen hisst, besänftigt man diese Wesen und bittet um sicheren Durchgang – deshalb fast immer an gefährlichen oder energetisch starken Orten.
Die fünf Farben und ihre Zuordnung sind im tibetischen Kulturraum so festgelegt:
- Blau – Raum/Himmel (nam)
- Weiß – Wind/Luft/Wolken (lung)
- Rot – Feuer (me)
- Grün – Wasser (chu)
- Gelb – Erde (sa)
(Früher war Grün manchmal auch für Wind, aber heute ist die obige Reihenfolge Standard.)
Die vier Würdetiere in den Ecken
Du hast sie fast richtig, nur die Zuordnungen sind leicht anders als in manchen populären Darstellungen:
- Garuda (tib. khyung) – Weisheit und Macht, besiegt Nagas (Schlangengeister)
- Schneelöwe (tib. seng ge) – Furchtlosigkeit, Freude, bedingungslose Fröhlichkeit
- Tiger (tib. tak) – bedingungsloses Vertrauen/Zuversicht
- Drache (tib. druk) – Kraft, Stärke, Macht und Würde
In der Mitte steht meist das Windpferd (Lungta), das die Lebensenergie (la) trägt und die Wünsche in alle Richtungen bringt.
Herkunft: Bon oder Buddhismus?
Du hast vollkommen recht: Die Gebetsfahnen in ihrer heutigen Form haben ihren Ursprung in der alten Bon-Religion Tibets. Die frühesten Fahnen waren einfache bunte Stoffstücke, mit denen man in Bon-Schamanismus die Geister der Berge, Seen und Pässe besänftigte und um Schutz bat.
Als der Buddhismus im 7.–8. Jahrhundert nach Tibet kam, hat er diese Praxis übernommen und „buddhisiert“: Statt Opfer für lokale Geister wurden Mantras und buddhistische Symbole aufgedruckt. Deshalb sieht man heute fast ausschließlich buddhistische Texte darauf, aber die Tradition des Hissens an energetisch starken Orten und das Prinzip „Wind verbreitet Segen“ ist eindeutig vor-buddhistisch und kommt aus Bon Religion.
Kurz gesagt: Die Form und der Ort stammen aus Bon, der Inhalt (Mantras, Buddha-Bilder) aus dem tibetischen Buddhismus. Wenn du mal echte alte Bon-Gebetsfahnen siehst (heute selten), erkennst du den Unterschied sofort: da sind oft Swastikas (Yungdrung), magische Symbole und keine Mantras drauf.
Schöne Ergänzung zu deiner tollen Beschreibung – und ja, jedes Mal wenn der Wind weht, werden Millionen Mantras „gesprochen“.
Die zwei Hauptarten von Gebetsfahnen
- Lungta-Fahnen (horizontale Fahnen)
Die rechteckigen, die man an Schnüren quer über Pässe oder Höfe spannt.
In der Mitte immer das Windpferd (Lungta), umgeben von den vier Würdetieren.
Darauf stehen meist Schutz-Mantras gegen Kriege, Krankheiten, Hindernisse und für langes Leben.
Diese hängt man immer horizontal und möglichst hoch (z. B. über Pässe), damit das Windpferd „fliegen“ kann. - Dar ding-Fahnen (vertikale Fahnen)
Die langen, schmalen Fahnen an einem einzelnen Holz- oder Bambusstock.
Diese stellt man senkrecht auf Berge, an Klöster, Stupas, auf Gräber oder an Flussufern.
Sie tragen meist längere Texte: z. B. das vollständige „Siegesbanner“-Gebet (Gyaltsen Semo) oder das Lungta-Gebet von Guru Rinpoche.
Wann hängt man neue Fahnen auf? (sehr wichtige Tage)
Die besten Tage (laut tibetischem Kalender) sind:
- Tag des tibetischen Neujahrs (Losar)
- Tag des 4. Mondmonats (Saga Dawa Düchen – Buddhas Geburt, Erleuchtung und Parinirvana)
- Tag des 6. Mondmonats (Chökhor Düchen – Tag der ersten Predigt)
- Tag des 9. Mondmonats (Lhabab Düchen – Tag der Himmelsleiter)
- Und immer an Tagen mit „9“ oder „10“ im Kalender, weil dann besonders starker Wind im unsichtbaren Bereich weht.
An diesen Tagen sagt man: „Wenn du eine Fahne hisst, zählt es wie 10 Millionen Mal Mantra-Rezitation.“
Was passiert mit alten Fahnen?
Niemals wegwerfen oder verbrennen (das wäre respektlos)!
Traditionell lässt man sie einfach weiter flattern, bis sie von selbst zerfallen.
Die zerrissenen Fetzen werden vom Wind weggetragen → das ist gewollt, denn so werden die Mantras noch weiter verbreitet.
Manche sammeln alte Fahnen und verbrennen sie später rituell in einem Lhasang (Räucheropfer), wobei der Rauch die Gebete noch einmal in den Himmel trägt.4. Die wichtigsten Mantras / Texte, die gedruckt werden
- Klassische Lungta-Fahnen:
- Rund um das Windpferd viele kleine Om Mani Padme Hum
- In den Ecken Schutz-Mantras gegen die „8 Ängste“
- Oft das Mantra des Schutzgottes Palden Lhamo oder von Guru Rinpoche
- Vertikale Dar ding-Fahnen tragen oft:
- Das große „Siegesbanner-Gebet“ (Darchok Gyaltsen Semo)
- Das „Gebet zur Erhöhung der Lebensenergie Lungta“
- Das „Gebet für den Weltfrieden“ von Dudjom Rinpoche oder Dilgo Khyentse
Farbreihenfolge ist vorgeschrieben
Die fünf Farben müssen immer in dieser Reihenfolge von links nach rechts (oder unten nach oben bei vertikalen Fahnen) hängen:Blau – Weiß – Rot – Grün – GelbWenn die Reihenfolge falsch ist, sagt man, die Elemente geraten in Disharmonie.6. Gebetsfahnen in anderen KulturenDie Idee wurde übernommen:
- Mongolei: fast identische „Khi Morit“ (Windpferd)-Fahnen
- Bhutan: gleiche Tradition, aber oft mehr Bilder von Gurus
- Ladakh, Sikkim, Nepal (Sherpa, Tamang): exakt wie in Tibet
- Kalmykien (Russland) und Buryatien: noch heute sehr verbreitet
Ein kleines, aber wichtiges Ritual beim Aufhängen
Bevor man die Fahnen hisst, macht man traditionell:
- Räucherung mit Wacholder (Sang)
- Drei Prostrationen
- Das Lungta-Gebet oder einfach 21× Om Mani Padme Hum
- Dann die Fahnen mit einem weißen Khata (Seidenschal) schmücken und hochziehen
- Am Ende Reis oder Tsampa in die Luft werfen und „Lha gyal lo!“ (Sieg den Göttern!) rufen.
Wenn du das nächste Mal welche siehst und der Wind weht – jetzt weißt du: In diesem Moment werden gerade Millionen Mantras für alle Lebewesen „gelesen“.

